Themen / Leadership, Interview 20.09.2016
Autor: NoéMie Schwaller / Quelle: standing ovation / Bild: Jerry Gross

Welche Rolle spielt das Value Selling im Mehrwertgeschäft?

Interview mit Prof. Dr. oec. Christian Belz, Ordinarius für Marketing an der Universität St. Gallen (HSG) und Direktor des Instituts für Marketing​.​​

Swiss Marketing Forum:

Herr Prof. Dr. Belz, Ihr wichtigster Lehrer im Marketing, so liest man, war Ihr Vorgänger Prof. Dr. Heinz Weinhold. Was konnte er Ihnen vermitteln, das Sie heute noch als relevant betrachten?

Prof. Dr. Christian Belz:

Heinz Weinhold hat Verkauf und Verkaufsmanagement immer gewichtet und im Marketing integriert. Damit unterschied er sich schon früh von den vielen Marketingspezialisten, die sich nicht in die Niederungen des Verkaufs einlassen wollten. Da treffen sich ja Menschen und machen irgendetwas, nur konzeptionell ist dem bedingt beizukommen. Heute betrachte ich sogar Marketing eher als Teil des Verkaufs, denn umgekehrt. Gemeinsam haben Verkauf und Marketing die Aufgabe, den Kunden zum Kauf zu führen.

Heinz Weinhold war Generalist und nicht nur König einer Variable. Realitätsorientierung und Breite sind die Ansprüche, die ich von ihm übernommen habe. Er war übrigens in der Zusammenarbeit nicht bequem; ich lernte viel von ihm, weil er mich forderte. Zufriedenheit der Mitarbeiter ist nicht das Mass aller Dinge.

Wir leiden heute an Neomanie. Alles scheint neu zu sein. Vieles ist aber längst bekannt, wurde bereits von meinem Vorgänger bearbeitet. Manchmal werden einfach die Probleme (etwa bei den Lohnsystemen im Verkauf oder bei den Kundenprioritäten) so gross, dass wir etwas tun müssen. Die Fortschritte der Verkaufsdisziplin sind gering, während persönliche Lernprozesse von Führungskräften und Forschern anspruchsvoll und ergiebig bleiben.

Swiss Marketing Forum:

Sie führen als Kenner der Vertriebsszene durch die Sales Power Tage. Worin sehen Sie die Wichtigkeit dieser Fachkonferenz und worauf freuen Sie sich am meisten?

Prof. Dr. Christian Belz:

Auf hohem Niveau fehlte bisher in der Schweiz ein Anlass für Verkaufsmanager. Ich freue mich, dass das Swiss Marketing Forum und einige Sponsoren die Initiative für die Sales Power Tage ergriffen. Ich freue mich auf spannende Praxisreferenten mit ergiebigen Verkaufsthemen und vor allem auf die Teilnehmenden. Ich freue mich auf den Dialog zu wichtigen Verkaufsthemen.

Swiss Marketing Forum:

Welche Rolle spielt das Value Selling im Mehrwertgeschäft und wie kann es optimal verbessert werden?

Prof. Dr. Christian Belz:

Welches Unternehmen verkauft schon Unwerte? Value Selling ist omnipräsent. Soll es die Leistung des Unternehmens optimal mit dem Nutzen des Kunden verbinden, so gilt es, Value Selling spitz zu machen. Beispielsweise fordert bereits der Shift der Entscheider bei Kunden (etwa von der Technik zum Einkauf) eine Verkaufsorganisation grundsätzlich heraus. Es braucht auch viel, wenn Verkäufer statt über Verkaufspreise über die Wirtschaftlichkeit des Kunden argumentieren sollen. Kurz, es braucht Akzente des Unternehmens und dann langfristige Konsequenz. Value Selling als schwammiges Thema genügt nicht. Übrigens gibt es dazu mein neuestes Buch, danke für die Frage.

Bild: Jerry Gross

Swiss Marketing Forum:

Heat Map: Wo liegen momentan die heissen Themen und grössten Herausforderungen im Verkauf und Verkaufsmanagement?

Prof. Dr. Christian Belz:

2016 führte ich rund 20 gründliche Gespräche mit den Verantwortlichen im Verkauf von namhaften Unternehmen. In jedem Markt und in jedem Unternehmen gilt es, spezielle Akzente zu setzen. Übergreifend schälte sich ein Dutzend Themen heraus:

  1. Marktbearbeitung neu vom Marktpotenzial her denken und aufstellen – den Verkauf neu organisieren
  2. Verkauf für Sparten und Länder gemeinsam professionalisieren und den Verkauf unternehmerisch entwickeln
  3. Value Selling spitz machen und das Spannungsfeld zwischen schlankem Geschäft und extensiver Zusammenarbeit gestalten
  4. Multi-Channel entwickeln und die Rolle des Verkaufs neu orientieren
  5. Komplexe Kundenprozesse verstehen und gestalten, die reale Interaktion mit Kunden gestalten und die Kundensicht ernst nehmen
  6. Interne Leistungen für Kunden koordinieren und intern verkaufen
  7. Die letzte Meile im Vertriebsmanagement mit den Leitern von Verkaufsgruppen führen
  8. Beraterwechsel und Personalfluktuation managen
  9. Preise und Leistungen im Verkauf wirksam gestalten
  10. Den Reifegrad von Vertrieb und Key Account Management bestimmen sowie Innovationen und Kreativität im Vertrieb fördern
  11. Verkaufstools im digitalen Zeitalter entwickeln und umsetzen
  12. Key Performance Indicators zur Professionalisierung des Vertriebs wählen und nutzen sowie mit der Incentivierung des Verkaufs abstimmen.

Es gibt offensichtlich im Verkauf genug zu tun.

Swiss Marketing Forum:

Welchen realen Einfluss hat die erhöhte Digitalisierung von Geschäftsprozessen auf die Vertriebskosten?

Prof. Dr. Christian Belz:

Ohne Informatik geht gar nichts mehr, auch im Verkauf. Nur ist Digitalisierung ein breites und abstraktes Thema. „Hier Digitalisierung – wo Problem“ scheint die Devise zu lauten. Relevant ist was Unternehmen konkret aufgreifen. Ein Problem muss dabei gelöst werden: Oft hat der Kunde schon 60% seines Weges zum Kauf zurückgelegt, wenn er Kontakt mit Anbietern aufnimmt. Vieles macht er selbst auf dem Internet und im Austausch mit anderen. Die Arbeitsteilung zwischen Interaktion im Internet und persönlichem Verkauf gilt es neu zu gestalten.

Swiss Marketing Forum:

Wie werden zukünftig Gestaltung und Nutzen von Verhaltensdaten-Auswertungen der Käufer angewendet?

Prof. Dr. Christian Belz:

Dem Kunden gefällt Vieles, nur bewegt er sich nicht. Im B2B-Geschäft versanden beispielsweise 40% der Beschaffungsinitiativen. Der Kunde macht viele Zwischenschritte zum Kauf und kann jederzeit abbrechen. Deshalb müssen wir uns stärker mit realen Kundenprozessen befassen und zu diesem Weg die Hebel bestimmen. Auch in den Daten des Customer Relationship Management gilt es, ergiebige Muster zu bestimmen. Generell wird Sales Analytics wichtiger.

Swiss Marketing Forum:

Wo liegt heutzutage die Rolle und Verantwortung des Aussendiensts?

Prof. Dr. Christian Belz:

Prognosen zeigen: Viele „Order Taker“ werden ihren Job verlieren. Immer mehr Käufe entwickeln sich zum Transaktionsgeschäft für den Kunden. Der Verkauf muss selbst ein wichtiger Teil der Leistung werden und seinen Mehrwert für den Kunden steigern. Er ist nicht nur ein Vermittler. Andererseits brauchen Unternehmen neue Lösungen für das Transaktionsgeschäft. Wir arbeiten mit verschiedenen Unternehmen an Interaktionsmodellen: Unternehmen müssen in der Lage sein, mit ihren Kunden schlank bis extensiv (und dabei immer erfolgreich) zusammen zu arbeiten.

Swiss Marketing Forum:

Sehen Sie Parallelwelten zwischen Ihrem Hobby als Imker und Ihrer Profession?

Prof. Dr. Christian Belz:

Mein Hobby soll ja gerade vom Beruf trennen (lacht). Mindestens zwei Dinge habe ich aber mit meinen Bienen gelernt: 1) Bienen lassen sich nicht fragen. Man kann nur beobachten, was sie tun. Die Verhaltensforschung begann deshalb bei Karl v. Frisch mit Bienen und bei Konrad Lorenz mit Graugänsen. 2) Bienenvölker haben eine eigene Dynamik, die auch von der Umwelt beeinflusst wird. Sie lassen sich nicht einfach steuern, sondern eher fördern. Beide Hinweise sind für den Verkauf und Kunden relevant.

Über Prof. Dr. oec. Christian Belz

Prof. Dr. Christian Belz (geb. 1953) ist Ordinarius für Marketing an der Universität St. Gallen (HSG) und Direktor des Instituts für Marketing. Zu Marketing und Vertrieb verfasste er zahlreiche Bücher und Fachartikel, besonders für das B2B-Geschäft. Neuere Publikationen sind beispielsweise „Value Selling“, „Reales Marketing“ und „Stark im Vertrieb“. Zudem ist Christian Belz ein Mitglied in mehreren Verwaltungsräten.

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